Die AbL hatte sich in einem Brief an die EU-Kommission dafür ausgesprochen und erfreulicherweise wurde in diesem Sinne entschieden: Die Ausnahmeregelung, die erlaubt, dass heterogenes Saatgut, so genannte Populationen, von Weizen, Mais, Hafer und Gerste in der EU verkauft werden dürfen, wurde um zwei Jahre verlängert. In der EU-Kommission befürworteten alle 26 Mitgliedsländer am 2.7.18 den Gesetzesentwurf zur Verlängerung des 2014 gestarteten EU-Experimentes zu Populationen (Verordnung 2014/150) bis zum 28.2.2021.
Populationen werden auch als Viellinien-Sorten, Evolutionsramsche oder "Composite cross populations" bezeichnet. Bei diesem heterogenen Saatgut variieren die einzelnen Pflanzen der Sorte in ihren Merkmalen stärker als bei herkömmlichen Sorten; es gibt also eine größere Vielfalt auf dem Acker. Populationen sind etwas anderes als Sortenmischungen, denn bei Populationen werden mehrere Sorten oder Genotypen in allen Kombinationen miteinander gekreuzt und befruchtet und die Nachkommen stellen die Population dar.
Ertragsstabil und gesund
Die Stärke der Populationen liegt in der Vielfalt begründet, ähnlich wie bei Arten- und Sortengemengen, die auch eine größere Ertragsstabilität und -sicherheit als Monokulturen aufweisen. Populationen sind breiter aufgestellt, z.B. kann es trockenheits- und nässetolerante Pflanzen in einer Sorte geben, sodass der Bestand flexibler auf sich verändernde Umweltbedingungen, wie Wetterextreme in Zeiten des Klimawandels, reagieren kann und es seltener zu Total-Ernteausfällen kommt. Pflanzenkrankheiten und Schädlinge können schwerer ein Feld mit genetisch unterschiedlichen Pflanzen bezwingen, da sie verschiedene Resistenzmuster aufweisen. Durch die Variation im Bestand können sich Populationen bei wiederholtem Nachbau stärker an den Standort und die Bewirtschaftungsweise anpassen als die homogenen und reinerbigen Liniensorten von Selbstbefruchtern wie Weizen. Populationen wurden bewusst als Alternative zu Hybriden entwickelt. Auf dem Markt in Deutschland sind bisher Populationen von Weizen und (nachbaufähigem!) Mais von der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft und der Züchtung Dottenfelder Hof, sowie vom Schweizer Getreidezüchter Peter Kunz. Dass nun heterogenes Saatgut gekauft werden kann, ist wirklich eine Neuigkeit im Saatgutrecht und eine längst überfällige Erweiterung des Saatgutangebotes. Schon lange wird kritisiert, dass die EG-Saatgutrichtlinien der Europäischen Union und das Saatgutverkehrsgesetz in Deutschland nur Sorten zum Verkauf zulassen, bei denen die einzelnen Pflanzen nahezu identisch sind. Denn Einheitlichkeit bedeutet nicht automatisch Qualität, wie das folgende Beispiel zeigt:
Spitzenerträge, aber nicht zugelassen
Obwohl die langstrohige Sommer-Ackerbohnen-Population „Detpop“ Spitzenerträge in Öko-Landessortenversuchen zeigte, ist der Saatgutverkauf verboten, da es sich um heterogenes Saatgut handelt und zum EU-Experiment nicht Ackerbohnen gehören. Die Population "Detpop" wurde gemeinsam vom Naturland e.V., Naturland-Bauern und der Universität Göttingen in einem vom Bundesprogramm ökologischer Landbau (BÖL) geförderten Projekt 2004-2007 entwickelt. Es fand "Partizipative Züchtung" statt, also Züchter und Bauern züchteten gemeinsam. Die Sorte lieferte bei Öko-Landessortenversuchen Spitzenerträge: In Baden-Württemberg 2014 war „Detpop“ die ertragsstärkste Sorte auf allen drei Standorten (38,8 dt/ha); in Hessen 2012-2014 war sie immer auf den Plätzen 2 bis 5 der ertragsstärksten Sorten (37,1 - 70,7 dt/ha). Werner Vogt-Kaute von der Naturland-Fachberatung hatte im Projekt mitgewirkt und berichtete, dass heute etwa 50 Betriebe v.a. in Nordbayern die Ackerbohne „Detpop“ anbauen, jedoch das Saatgut dieser guten Sorte aktuell nicht verkauft werden dürfe.
Saatgut-Zulassung überarbeiten
Aus den Erfahrungen mit Populationen in den vergangenen Jahren sollte folgen, dass in der EU die Homogenität innerhalb der Sorte nicht mehr zwingendes Kriterium für die Zulassung sein muss. Im Ökolandbau wird die Zulassung von Variabilität in einer Sorte auch als wichtig erachtet, sodass in der neuen EU-Öko-Verordnung, die ab dem 1.1.2021 gelten wird, „heterogenes Material“ bei allen Kulturen erlaubt wird. Zusätzlich sollten jedoch die EG-Saatgutrichtlinien angepasst werden, um eine Erweiterung des Saatgutangebotes auch für die konventionelle Landwirtschaft zu ermöglichen. Neben Populationen könnten dadurch auch mehr samenfeste/ nachbaufähige Sorten angemeldet werden, die aktuell häufiger an den strengen an F1-Hybriden-orientierten Homogenitätshürden scheitern. Kleine und mittelständische Züchter und bäuerliche Züchter hätten mehr Chancen.