Im Freilichtmuseum in Detmold beschäftigten sich bei einer von ProSpecieRara und der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft NRW (AbL NRW) organisierten Tagung am 2.7.19 etwa 30 Teilnehmer mit traditionellen Gemüse- und Getreidesorten im Erwerbsanbau. Es ging um ältere Sorten und auch Arten, die heute nur noch wenig angebaut und verzehrt werden, obwohl sie wertvoll und lecker sind. Im Freilichtmuseum Detmold konnten z.B. gelbe Himbeeren sowie Haferwurzeln, die Schwarzwurzeln ähneln, und auch Erdbeerspinat besichtigt werden, dessen Früchte an Erdbeeren erinnern und essbar sind. Die Saatguttechnikerin Margret Blümel, Landschaftsökologin Agnes Sternschulte und der Gärtner Elmar Zeileis erzählten, dass das Freilichtmuseum seit vielen Jahren traditionelle Sorten aus der Region sammelt, Informationen über die Sortengeschichte recherchiert, die Sorten vermehrt und an interessierte Sortenpaten weitergibt.
Eine besonders prominente Sorte in der Region ist die Grünkohlsorte „Lippische Palme“, die mit ihrem violetten Stiel und den bis zu 1,80 m wie eine Palme aussieht. Sie wird auch Braunkohl oder Ziegenkohl genannt, da früher die unteren Blätter als Viehfutter genutzt wurden. Der Landwirt Jan Fleischfresser aus Kalletal baut diese Sorte nun wieder an und sie wird eingemacht in Gläsern in etwa 42 Supermärkten, Hofläden und Fleischereien in der Region verkauft. Das Interesse der Kunden ist groß, da die Sorte besonders ist und viele sie auch noch aus früheren Zeiten kennen.
Beim Mittagessen wurden Brote aus verschiedenen traditionellen Getreidesorten verkostet. Es gab Brote von der Bäckerei Tollkötter aus Champagnerroggen, von Bäckerei Meffert Brot aus Oberkulmer Rotdinkel und vom SteinofenBäcker aus Emmer und Einkorn. Das Getreide für die Brote aus Waldstaudenroggen, „Tschermaks Sommerweizen“ oder dem Rotkornweizen „Granat“ wurde über das Internet bei der Drax-Mühle und dem Biohof Walz gekauft. Nach der Stärkung gab es fünf Vorträge und Diskussionen über Anbau, Kommunikation und Vermarktung von traditionellen Sorten.
Saatgut traditioneller Gemüsesorten kann u.a. bei Sativa, ProSpecieRara, Bingenheimer Saatgut, Dreschflegel, VEN und oder auf Saatgutmärkten bezogen werden. Ansprechpartner für Saatgut traditioneller Getreidesorten sind z.B. die Landwirtschaftskammer NRW (Pflanzengenetische Ressourcen, Ullrich Schulze), die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft (Klaus Fleißner) und der Verein zur Erhaltung und Rekultivierung von Nutzpflanzen in Brandenburg (VERN, Rudolf Vögel).
Svenja Holst, Projektleiterin von „Saatgut: Vielfalt in Bauern- und Gärtnerhand“ der AbL NRW, berichtete: „Auf der Roten Liste der gefährdeten einheimischen Nutzpflanzen in Deutschland stehen etwa 2600 Sorten. Die Erhaltung der traditionellen Sorten ist wichtig für die Ernährungssicherheit, um auch in Zukunft eine Vielzahl an Sorten zur Auswahl zu haben oder für die Züchtung zu verwenden. Traditionelle Sorten bieten auch Möglichkeiten zur Anpassung an den Klimawandel, z.B. blieben viele alte Getreidesorten im Dürrejahr 2018 länger grün. Eine Nutzpflanzenvielfalt ist auch eine wichtige Strategie für den Umgang mit Krankheiten und Schädlingen. Außerdem sind traditionelle Sorten nachbaufähig und damit eine gute Alternative zu F1-Hybriden!“
ProSpecieRara wurde in der Schweiz mit dem Ziel der Erhaltung von gefährdeten Nutztierrassen und Kulturpflanzen gegründet und seit 2011 gibt es ProSpecieRara auch in Deutschland. Iris Förster berichtete, dass in der Schweiz traditionelle Sorten mit dem ProSpecieRara-Label beim Supermarkt Coop zu kaufen seien und ein Großteil der Bevölkerung das Label kennen und schätzen würde. Sie stellte das aktuelle Projekt „Vielfalt schmeckt“ vor, bei dem traditionelle Gemüsesorten über den Bio-Großhändler Rinklin Naturkost vermarktet werden. Die Saatgutvermehrung der traditionellen Sorten sei der erste und auch aufwändige Schritt, um einen Anbau zu ermöglichen. Es wurde diskutiert, dass Bauern, Gärtner und Initiativen, die Sorten erhalten, stärker finanziell unterstützt werden sollten. Im Projekt geht es darum, Kunden auf traditionelle Sorten aufmerksam zu machen. In Lebensmittelgeschäften sei es nicht leicht, Kunden über traditionelle Sorten zu informieren. Wichtig sei, dass auch die VerkäuferInnen darüber Bescheid wüssten. ProSpecieRara hat Banderolen für die Gemüsekisten entwickelt zur Kennzeichnung von traditionellen Sorten sowie Rezeptpostkarten. Auch Restaurants seien interessiert an traditionellen Sorten.
Alexander Westerbarkey betreibt den „Gärtnerhof Vier Jahreszeiten“ in Gütersloh und erzählt: „Wir haben Gemüse-Lieferkisten und beliefern Bioläden. Da braucht man viel Abwechslung, sodass wir 100 Produkte haben.“ Schon seit zehn Jahren baut er die traditionelle Sorte Butterkohl an, die sich durch ihren sehr milden, zarten Geschmack auszeichnet. Doch gebe es auch einige Kunden, die den Butterkohl abbestellen. „Wir haben auch immer sieben bis zehn Kürbissorten und wir bekommen viel Lob dafür, aber zu 95 % wird dann Hokkaido gekauft.“ Außerdem sei es für Kunden teilweise nicht sichtbar, dass es sich um traditionelle Sorten handle und ihm fehlten teilweise die Möglichkeiten dies zu kommunizieren. Daher konzentriere er sich mehr auf seltene traditionelle Arten wie Radicchio, Pastinake und Mangold. Der Ernte-Aufwand von Gartenmelde war ihm zu groß. Beim Anbau von traditionellen Sorten gebe es meist wenige Anbauhinweise, sodass man selbst seine Erfahrungen sammeln müsse, z.B. dass der Spitzwirsing deutlich länger zur Reife braucht als der Spitzkohl. Der Verkauf von traditionellen Sorten sei am einfachsten über Kundenkontakt.
Kerstin Maaß stellte ihren Familienbetrieb „Hof Maaß“ in Werther vor. Im eigenen Hofladen werden viele selbst hergestellte Produkte verkauft. Der Betrieb ist daher sehr vielseitig aufgestellt mit Sauen, Mastschweinen, Legehennen und Glanrindern und einer weiten Fruchtfolge. Unter den neun Kartoffelsorten befinden sich auch die traditionellen Sorten „Rosa Tannenzapfen“ und „Alter Schwede“. Auch als Reaktion auf den geringen Getreidepreis 2007-2009 begann die Familie Emmer und Einkorn anzubauen, die zu den ältesten kultivierten Getreidearten gehören. Der Kornertrag mit Spelz ist mit etwa 23 dt/ha bei Einkorn und 27 dt/ha bei Emmer gering, aber die Erzeugerpreise sind momentan gut. Das Getreide wird an einen Landwirt weiterverkauft, der das Entspelzen übernimmt und unter anderem an den SteinofenBäcker verkauft. Die Familie Maaß bietet deren Emmer- und Einkornbrot auch im Hofladen an.
Der Bauer Alain Basson erzählte, dass er in der Champagne in Frankreich 20 verschiedene traditionelle Weizensorten nach langer Beobachtung gemischt hat und auf einem Feld gemeinsam anbaut. Damit beliefert er zwei Bäcker in Paris. Jörg Meffert führt gemeinsam mit seinem Bruder Alfred Meffert die Vollkorn und Bio Bäckerei Meffert. Im Zusammenschluss „Die Freien Bäcker“ setzen sie sich auch für den Erhalt und die Wertschätzung von Handwerksbäckereien ein. Sie verwenden nur Getreide, das in der Region angebaut wird und die Regionalmarke „Lippequalität“ trägt. Das Getreide wird größtenteils in der eigenen Mühle gemahlen oder in der lokalen Eickernmühle. Die Bäckerei verwendet auch eine traditionelle Dinkelsorte: Der Oberkulmer Rotdinkel wurde aus einer alten Schweizer Landsorte selektiert und 1998 beim Bundessortenamt registriert. Die Sorte hat nur geringe bis mittlere Erträge. Es gibt einige Verbraucher, die solch einen „Urkorndinkel“ nachfragen oder nach „reinem“ Dinkel suchen, der nicht mit Brot-Weizen gekreuzt wurde. Jörg Meffert meint: „Mit alten Sorten kann man sich abheben.“ Industrielle Bäcker würden aktuell nur kleine Mengen der alten Getreidearten Emmer und Einkorn als Marketingstrategie zumischen. Sie bräuchten hochgezüchtete Sorten mit hohen Glutenanteilen. Gute handwerkliche Bäcker bräuchten das nicht und könnten auch mit traditionellen Sorten gute Brote backen.