Züchtungs- und Sortentage bei Bingenheimer Saatgut

„Bingenheimer Saatgut“ ist einer der bekanntesten Anbieter von ökologisch gezüchtetem Saatgut in Deutschland, den man bei dessen Züchtungs- und Sortentagen am 1. und 2. August 2018 genauer kennenlernen konnte.

Man kann sagen, dass dort das Saatgut von Gärtnern für Gärtner gemacht wird: Besonders wertvoll ist, dass die Sorten langjährig unter ökologischen Bedingungen, integriert in gärtnerischen Betrieben, gezüchtet werden, sodass sie gut an diese Bedingungen angepasst sind. Die Gemüsesorten können alle nachgebaut werden, da sie samenfest sind. Dabei fallen auch keine Nachbaugebühren an, da sich die Züchter, die im Verein Kultursaat zusammengeschlossen sind, bewusst dagegen entschieden haben. Etwa 80 Gärtnerbetriebe vermehren Saatgut für Bingenheim.

Der Züchtungs- und Sortentag fand nun bei Bingenheimer Saatgut in Echzell in Hessen statt, wo das Saatgut aufbereitet, also gereinigt wird, Keimfähigkeit und Saatgutgesundheit überprüft und anschließend vermarktet wird.

Um die Ecke vom Bingenheimer Saatgut liegt der Quellenhof, der Zuchtgarten der Kultursaat-Züchter Kornelia Becker und Thomas Heinze, und dort wurden die Züchtungsprojekte mehrerer Kultursaat-Züchter vorgestellt. Kornelia Becker hatte zum Beispiel in einer langen Reihe Zucchini-Früchte verschiedener Sorten – nicht nur von Bingenheim – aufgereiht, die in einem bestimmten Zeitraum geerntet wurden. Die Früchte wurden sortiert nach Größe, Farbe und Form und nicht vermarktungsfähige Früchte wurden separat abgelegt. Mit dieser Methode konnten die Sorten auf einfache Weise und mit bloßem Auge gut verglichen werden. Es waren auch samenfeste Sorten von Bingenheimer dabei, die ertraglich gut mit den ausgestellten Hybriden mithalten konnten. Es wurde erklärt wie schwierig die Züchtung von gelben Zucchinis ist. Bei den ausgestellten, noch in Entwicklung befindlichen, gelben Zucchinisorten lagen auch immer noch ein paar grüne Früchte in der Reihe (siehe Foto Früchte unten). Es müsse also bei der Züchtung von gelben Sorten ein Auge dafür entwickelt werden, welche Früchte aussortiert werden müssten, die in der nächsten Generation noch grüne Zucchinis hervorbringen könnten. 

Auch bei der Salatzüchtung ging es bunt weiter. Sarah Brumlop stellte vor wie die Züchterin Ulrike Behrendt gemeinsam mit dem Julius-Kühn-Institut in einem BÖLN-Projekt neue Strategien gegen Falschen Mehltau bei Salat sucht. Problematisch ist hier, dass Züchter ständig neue Resistenzen gegen den Pilz entwickeln müssen, da sich dieser schnell verändert und die Resistenzen überwindet. Im Projekt wurden nun mehrere Salatsorten gemeinsam als Sortenmischung auf dem Feld angebaut. Man erwartet, dass die verschiedenen Salatsorten als Gesamtheit eine vielfältigere Abwehr gegen den Pilz bilden können als Monokulturen, sodass nicht der gesamte Bestand befallen wird und Resistenzen langsamer durchbrochen werden. Bisher wurden positive Erfahrungen damit gemacht. Die Züchterin stellt passende Sorten zusammen und bearbeitet sie züchterisch so, dass gleiche Aberntezeitpunkte erreicht werden, damit gleichzeitig das Feld geräumt werden kann . Wünschenswert ist, dass der Handel Offenheit für gemischte Salatkisten zeigt! 

Außerdem konnte besichtigt werden wie das Saatgut bei Bingenheimer aufbereitet wird, also das Saatgut gedroschen und von Beikraut-Samen, Steinen, Spelzen und Krankheitserregern befreit wird. Bei Mangold wird sogar die raue Korkschale mit einer Reibe geschliffen, um das Saatgut fließbarer zu machen. Es stehen verschiedenste Maschinen bereit, die mit Sieben, Luftstrom, Gewichts- und sogar Farbsortierung das Saatgut von Fremdkörpern befreien können. Je nach Kultur findet eine andere Behandlung statt und auch die Umweltbedingungen haben Einfluss auf die Samen. In trockenen Jahren sind die Samen kleiner, sodass auch engmaschigere Siebe genutzt werden müssen. Das zeigte, wie gut man die Kulturen und Maschinen kennen muss, um die passende Behandlung zu wählen. Am Ende wird das meiste Saatgut mit einer Warmwasserbehandlung bei 50 - 54 °C von Krankheitserregern befreit. 

Am Mittwochabend fand eine Podiumsdiskussion statt, bei der vier Geschäftsführer aus dem BIO-Handel, wie Großhändler und Lebensmitteleinzelhändler, aus Deutschland und Nachbarländern diskutierten, welche Schritte der Handel unternehmen müsste, um mehr ökologisch gezüchtete Sorten in sein Sortiment zu integrieren. Auf dem Podium vertreten waren Dr. Fabio Brescacin (EcorNaturaSi, Italien), Merle Koomans van den Dries (Estafette Odin, Niederlande), Änder Schanck (Naturata Letzebuerg, Luxemburg), Sascha Damaschun (Bodan Großhandel für Naturkost, Deutschland) und Christoph Simpfendörfer (Demeter International).

Es wurde an den Lebensmittelhandel appelliert, etwa 1 Promille, also 1/1000 ihres Umsatzes an die Züchtung abzugeben, die damit gut finanziert wäre. Alle der anwesenden BIO-Händler unterstützen bereits die ökologische Züchtung mit finanziellen Mitteln, beispielsweise Bodan mit 60.000 € ihres Gesamtumsatzes von 75 Mio.

Problematisch ist jedoch, dass ökologisch gezüchtete Sorten noch zu wenig in der Landwirtschaft genutzt und vor allem zu wenig im Handel vorhanden sind, obwohl bereits ein breites Sortiment an Saatgut zur Verfügung steht. Die BIO-Händler gaben Schätzungen ab, welcher Anteil bei ihnen die BIO-gezüchteten Sorten einnehmen und die Zahlen waren sehr gering: Diese gibt es bei EcorNaturaSi in Italien nur bei Kohlrabi, bei Naturata in Luxemburg v.a. bei Möhren und Rote Bete und insgesamt nur etwa 10 %, Bodan in Deutschland schätzte 20-30 %. Bei Blumenkohl und Brokkoli werden kaum ökologisch gezüchtete Sorten verwendet, während es bei Salat bei Estafette in den Niederlanden 100 % seien. Bei verarbeiteten Lebensmittelprodukten sei der Anteil noch niedriger.

Als zentrale Ursache für das Problem wurde genannt, dass sich die wenigsten Verbraucher der Notwendigkeit von ökologischer Züchtung bewusst seien. Daher müsste der Handel stärker die Verbraucher mitnehmen, auch emotional berühren und mit ihnen kommunizieren. Mehr Kreativität und Verständlichkeit seien gefragt. Die BIO-Händler teilten ihre Überlegung, ob der Begriff „freies Saatgut“ für Verbraucher nicht leichter verständlich sei als „samenfestes Saatgut“. Der Handel traue sich bisher leider nicht zu thematisieren, wie viele Hybrid-Sorten und wie wenig samenfeste Sorten verwendet werden aus Sorge vor einem schlechten Image.

Ein weitere Ursache des Problems sei sicherlich, dass der Handel bisher zu wenig bereit war, höhere Preise für samenfeste, ökologisch gezüchtete Lebensmittel zu zahlen, um die höhere Qualität zu belohnen und eventuell geringeren Erträge im Vergleich zu Hybriden auszugleichen. Ändert sich das nicht, würden wohl auch zu wenige GärtnerInnen und BäuerInnen auf ökologisch gezüchtete und samenfeste Sorten umstellen.

Aus dem Publikum kam die Kritik, dass die BIO-Verbände auch die ökologische Züchtung stärker verfolgen müssten, indem beispielsweise nur noch ökologisch gezüchtete Sorten bei BIO-Lebensmitteln zugelassen würden oder Dupingpreise in Supermärkten verhindert würden.